Freies China: Herr Künzi, woraus besteht normalerweise eine Rettungsmannschaft?
Beat Künzi: Sie müssen ein Ortungsteam mit Hunden und technischer Ortung haben. Dann brauchen Sie die Rettungsspezialisten, und es gibt keine Rettung eingeschlossener Personen, ohne daß ein Arzt dabei ist. Das ist internationaler Standard. Es muß zwingend ein Arzt dabei sein, denn nach dem Streß des Eingeschlossenseins erfährt die Person, wenn sie herauskommt, eine dermaßen große Entspannung, daß sie sterben kann. Das hat man oft beobachtet. Man gibt ihr dann zur Beruhigung eine Infusion.
Wir haben einen Ingenieur, der generell die Sicherheit einer gestörten Struktur beurteilen muß, und wir haben bei jedem Hundeteam einen Bauspezialisten, einen sogenannten Schadenplatzberater. Dieser Ingenieur muß ein Restrisiko qualifizieren und quantifizieren.
Wir haben beim großen Team einen Psychologen dabei, und wir wollten ihn auch in diesem kleinen Team mitnehmen, und er war leider in den Ferien. Das ist genau das Problem bei solchen Einsätzen, Sie können nicht einfach hundert Leute irgendwo zwei Jahre in einem Saal warten lassen. Wir haben für jede Funktion 5 bis 10 Leute, und dann entscheiden wir, gehen wir mit dem ganzen Team oder nur mit einem Modul wie dieses Mal. In einem Modul gibt es mehr Hunde, in einem anderen gibt es mehr Retter, die Hälfte vom ganzen. Wenn man sich entschieden hat für's Modul, ruft man die Leute an, bis man alle Funktionen mit einer Person erfüllt hat.
Welche Geräte kommen zum Einsatz?
Standardgeräte für schwere Rettungen, heavy rescue heißt das. Das sind Geräte zum Schneiden, zum Bohren, zum Heben, alles, was man braucht, um zu den Verschütteten vorstoßen zu können. Die internationalen Teams müssen ungefähr 40 Zentimeter armierten Beton von guter Qualität durchstoßen können. Sie können sich vorstellen, viele Teams, die hierher gekommen sind, erreichen diesen höchsten Standard gar nicht.
Zur Ortung können Sie eine Kamera mit einem ganz dünnen, steifen Kabel hineinstecken, damit können Sie hineinschauen. Dann gibt es Geräte für ganz kleine Geräusche, die dann verstärkt werden, die können Sie über Kopfhörer hören. Man klopft dann zum Beispiel auf den Beton, und wenn dann die eingeschlossene Person auch gleich klopft, ist man sicher, daß da jemand ist. Oder die Person kratzt, das hört man ganz gut. Dann müssen alle Leute auf dem Schadenplatz ganz ruhig sein, und dann kommt eben die technische Equipe zum Zuge. Es gibt noch verschiedene andere technische Methoden, die eigentlich die Hundenase komplettieren und ergänzen, zum Teil bestätigen.
Was muß vor Ort gestellt werden?
Wir brauchen nur noch die Treibstoffe, damit wir unsere Maschinen bedienen können, und wir benötigen Übersetzer, um mit der Bevölkerung und den Behörden kommunizieren zu können, und wir benötigen Transportmittel. Alles andere läuft dann ganz normal, schnell, geordnet und professionell.
Haben Sie das hier auch bekommen?
Wir hatten bereits aus der Schweiz in der Nacht, bevor das Hilfegesuch von der taiwanesischen Regierung angenommen wurde, unserem Geschäftsträger [= dem Leiter der schweizer Vertretung in der Republik China] in Taipei gesagt: Wir brauchen Transportmittel auf dem Flughafen, wir brauchen Betriebsstoffe im Einsatzgebiet, und wir brauchen Leute, die uns sagen, wohin wir gehen sollen, wo es Probleme gibt, damit wir möglichst schnell nahe am Problemort sind. Das hat der Geschäftsträger alles angegeben. Bei unserer Ankunft standen drei Busse und vier Lastwagen bereit. Dann wurde das Material ausgeladen auf die Lastwagen, wir sind in die Busse gestiegen, und nach etwa eineinhalb Stunden sind wir abgefahren in Richtung Süden.
Hier standen uns Betriebsstoffe unserer Geräte, Übersetzer und Transportmittel zur Verfügung, von allem in genügender Anzahl. Es standen uns -- und das war sehr hilfreich -- Leute vom Außenministerium und Verteidigungsministerium als Kontaktpersonen permanent zur Verfügung, mit Deutsch-, Englisch- oder Französischkenntnissen.
Gefehlt hat uns nichts, und wir hätten auch nichts mehr gebraucht, es war alles in Ordnung, der Verkehr und die Kommunikation lief reibungslos, und es gab dabei auch gar keine Probleme. Die Zusammenarbeit mit den Behörden war ausgezeichnet, Verständigungsschwierigkeiten gab es keine, und meines Wissens eigentlich auch keine Mißverständnisse.
Man hat uns am Anfang einen Sektor zugewiesen, und man hat uns die Problemorte gezeigt, wo ein Haus umgestürzt oder eingestürzt war, dort mußten wir arbeiten. Das war eigentlich alles klar, es wurde uns quasi die Arbeit zugewiesen und wir haben dann unseren Teil dazu beigetragen. Das war sehr gut koordiniert.
Die Regierung hat das sehr geschickt gemacht, wie man das auch machen muß: sie teilte das Schadensgebiet in Sektoren ein und hat dann schon in Taipei bestimmt, das Team A geht in den Sektor A, das Team B in den Sektor B usw., das war zugeordnet. In jedem Gebiet waren ein oder zwei Teams, je nach den Bedürfnissen. Es war nicht so, daß dann zehn Teams am gleichen Ort und kein Team im anderen Sektor war. Hier bei uns gab es eine Zusammenarbeit mit einem koreanischen Team und einem japanischen Team.
Inwieweit unterschied sich Ihre Arbeit von der Arbeit der einheimischen Rettungsmannschaften?
Die ausländischen Teams müssen im allgemeinen, weil sie eine hohe Qualifikation haben, die schwierigen Rettungen machen. Dort haben die einheimischen Retter gewartet. Sie hatten ja ihre leichtere Arbeit gemacht, und wir waren eigentlich nur noch für die Knacknüsse zuständig, wo man mitten durch dicke Decken durchstoßen mußte unter wirklich sehr gefährlichen Bedingungen.
Wie viele Personen haben Sie lebend retten können?
Eine Person wurde lebend gerettet. [Die Rede ist von der Rettung des 6jährigen Chang Ching-hung in Tali, Kreis Taichung. Red.] Es war eine Zusammenarbeit, da waren die Koreaner auch, die haben den Bub am Schluß herausgenommen. Unsere Hunde haben den Ort angezeigt, mehrmals, und wir haben den ersten Stollen gebaut, und dann in der Nacht nach drei Uhr haben die Koreaner weitergearbeitet, und zum Teil haben sie unser Material noch gebraucht.
Wieviel Zeit ist zwischen dem ersten Orten durch die Hunde bis zum Herausholen vergangen?
Das weiß ich nicht in diesem Fall. Aber das kann zwischen einer halben Stunde bis 14 Stunden dauern. Das ist unter Umständen härteste Arbeit. Sie müssen durch diese dicken Decken durch, dann müssen Sie diese Eisen durchtrennen, die Armierung, dann müssen Sie da durchkriechen und dann weiter bis zum nächsten Boden.
Herrscht da nicht höchste Einsturzgefahr?
Man muß eben alles abstützen. Sie müssen zum Teil auch heben -- da legen Sie ein Kissen zwischen eine Spalte, dann wird dieses Kissen mit Preßluft aufgeblasen, dann müssen sie das abstützen, dann kommt Material hinein, wieder ein Kissen, es wird wieder gehoben, bis Sie selber durchkriechen können. Dann muß alles schön ausgefügt werden wie in einem Kohlebergwerk. Wenn's nachbebengefährdet ist, und das ist es ja sehr oft, macht man es deshalb dann lieber vertikal. Bei vertikal ist das Problem, daß man abseilen muß. Wenn man runtergeht, fallen dann Teile runter.
Nachbeben sind überhaupt die größte Gefahr. Sie haben ja gesehen, daß in Mingchien (Kreis Nantou) ein schräges Gebäude noch ganz umgestürzt ist. Und wenn Sie in einen Schutthaufen mit diesen Schichten einen Tunnel hineingraben, dann müssen Sie das innen alles auskleiden und abstützen. Bei einem Nachbeben darf es nicht sein, wenn Sie hier drin sind, daß das hinten einstürzt. Alles ist limitiert durch die eigene Sicherheit. Man geht nur so weit, wie die eigene Sicherheit gewährleistet ist, um fremde Leben zu retten. Das ist ein Prinzip. Man will helfen und trotzdem nicht selber sterben.
Was wird Ihnen von dem Einsatz in Taiwan unvergeßlich bleiben?
Es gibt zwei Dinge, die mir unvergeßlich im Gedächtnis bleiben werden. Das eine sind diese umgestürzten Häuser, die als Block umgestürzt sind, intakt, weil sie richtig konstruiert sind, aber im Untergrund ist irgend etwas passiert, das die Ingenieure jetzt untersuchen müssen. Das habe ich noch nie so gesehen, das gab's weder in Amerika noch in Japan, das ist neu. Und das zweite, was mir im Gedächtnis geblieben ist, ist diese große Dankbarkeit der Bevölkerung, diese Hilfsbereitschaft, dieser Respekt gegenüber unserer Arbeit, diese spontanen Dankesäußerungen, die freundlichen Leute hier.
Wie verhält man sich am besten bei einem Erdbeben? Läuft man am besten ins Freie?
Nein, das ist eigentlich falsch! Man sollte nicht in allen Fällen ins Freie springen. In Kobe sind sehr viele Menschen gestorben, weil große Glasscheiben im Haus geborsten sind, und wenn man da rausspringt, kommen große Glasstücke runter, es fallen unter Umständen Ziegel runter oder Fassadenteile, diese großen teuren Steinplatten zur Verzierung, oder diese weißen Kacheln hier. Das ist sehr gefährlich. Man sollte sich nicht näher als die Hälfte der Gebäudehöhe aufhalten, sonst geraten Sie in den sogenannten Trümmerwurfbereich. Am besten ist es, Sie sind in einem sicheren Gebäude natürlich, dann unter einem großen Tisch, unter einem Bett, in einem Schrank, einem Wandschrank zum Beispiel, oder bei einer Tür in diesem Bogen, wo man reingeht. Ein Erdbeben ist grundsätzlich sehr gefährlich.
Ein Erdbeben ist eine der schwierigsten Naturkatastrophen. Sie ist überraschend, sie ist großflächig, und sie schlägt erbarmungslos zu. Und wenn dann auch noch die Koordinationszentren und die Spitäler betroffen sind, dann ist die Katastrophe komplett.